Es ist mal wieder so weit: Angesichts des rapiden Verfalls des Milchpreises berieten Politik, Landwirte und Handelsvertreter gestern über mögliche staatliche Maßnahmen. Das Ergebnis sind Soforthilfen in Höhe von 100 Mio. €, Staatsbürgschaften, und Entlastungen der Milchbauern – alles natürlich aus Steuermitteln finanziert. Damit sollen laut Bundesregierung die Bauern gerettet und “neue Exportmärkte erschlossen” werden. Dabei machen diese Maßnahmen nur Sinn, wenn man das Ziel hat, eine Klientel im kommenden Jahr an die Wahlurne zu bewegen. Weder gesundheits- oder klimapolitisch, noch wirtschafts- oder entwicklungspolitisch lässt sich die erneute Subventionierung der Überproduktion von Milch rechtfertigen.
“Wir haben Frischmilch getrunken. Ich bin mit gutem Beispiel vorangegangen und empfehle es jedem zu tun: Milch ist gesund”. So begann Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CDU) sein gestriges Interview in den Tagesthemen, und machte damit bereits im ersten Satz klar, wessen Lied er sang: Das Lied der Lobbyvertreter, mit denen er sich zuvor getroffen hatte. Gesundheitspolitisch lässt sich Milch schon lange nicht mehr vorzeigen. Das Argument, dass Milch wegen ihres Kalziumgehalts gut für unsere Knochen wäre, löst sich wissenschaftlichen Ergebnissen zufolge immer mehr auf. Und das nicht allein deshalb, weil schon der Grad der Kalzium-Aufnahmefähigkeit durch den Menschen bei Milchprodukten geringer als bei anderen kalziumhaltigen Lebensmitteln, insbesondere bei gewissen Gemüsearten ist. 30 % werden bei Milch aufgenommen, während es bei Brokkoli, Rosenkohl und Blattsalaten 40 bis 60 % sind. Nein, Studien lassen generell an der Wirkung des Milch-Kalziums zweifeln.
So haben etwa die Forscher der Harvard Public School for Health 75.000 Frauen über einen Zeitraum von zwölf Jahren hinsichtlich des Effektes von Milch auf ihre Knochen untersucht. Das Ergebnis: die Knochen der Testpersonen wurden durch die Milch nicht widerstandfähiger, sondern waren sogar einem höheren Bruchrisiko ausgesetzt. Dies ist dadurch bedingt, dass der Körper durch häufigen Milchkonsum übersäuert, und zur Neutralisation seinen Knochen ihren Kalziumvorrat entzieht, wodurch die Anfälligkeit für Osteoporose steigt. Die Studie kann hier nachgelesen werden. Zur Studie passt übrigens, dass die Osteoporose-Quote in Ländern mit hohem Milchkonsum deutlich höher ist, als beispielsweise in asiatischen Ländern, in denen (noch) kaum Milch konsumiert wird. Gleiches gilt übrigens für diverse Formen der Krebserkrankung. Natürlich ist Milch voller weiblicher Geschlechtshormone, stammt sie doch von weiblichen Kühen und dient eigentlich der Ernährung von Kälbern. Stammt die Milch von einer trächtigen Kuh, wie es bei den meisten Produkten der Fall ist, findet sich in der Milch auch eine Vielzahl an Hormonen wie Östrogengehalt oder Progesteron. Dass diese auch unerwünschtes Wachstum im menschlichen Körper auslösen oder beschleunigen können, etwa das von Krebszellen, scheint zumindest plausibel.
Das schlagende Gesundheitsargument der Milch entfällt also.
Auch klimapolitisch macht die Entscheidung der Bundesregierung keinen Sinn. Wenn man sich vor Augen führt, wie stark Bund und EU die Industrie zur Einsparung von Treibhausgasen drängen, wie viele Millionen in die Förderung von E-Mobilität fließen sollen, dann lohnt sich ein Blick auf die globalen Zahlen. Nur 13% des globalen Treibhauseffekts entstehen etwa durch das Transportwesen, während die Viehzucht für mehr als 50% des Ausstoßes von Treibhausgasen verantwortlich ist, was vor allem an der Schädlichkeit des von Kühen ausgestoßenen Methans liegt. Und diese Erkenntnis ist keineswegs neu: Bereits vor zehn Jahren wurden sie durch eine von der UN-Welternährungsorganisation FAO veröffentlichte Studie belegt. Den damaligen Bericht des Handelsblatts finden Sie hier. Will man die Erderwärmung also wirklich entschieden bekämpfen, wie auf der Pariser Klimakonferenz mit großem Tamtam beschlossen, dann dürfte man übermäßige Viehzucht nicht noch durch Steuergelder verlängern.
Dass sich dies nicht auf die Versorgung der Bevölkerung auswirken würde, liegt auf der Hand. Allein in Niedersachsen wird derzeit mehr Milch produziert, als in ganz Deutschland getrunken wird. Durch das derzeitige Überangebot sinkt den Gesetzen von Angebot und Nachfrage folgend der Preis. Eine marktpolitisch vernünftige Lösung wäre, dass man es zu einer Marktbereinigung kommen lässt, durch ein geringeres Angebot würde sich der Preis wieder stabilisieren.
Denn in der derzeitigen Entwicklung liegt gerade kein Marktversagen, sondern Staatsversagen. Der Marktmechanismus führt aktuell zu sehr effizienten Preisanpassungen, weil sich Angebot oder Nachfrage signifikant ändern. Außerdem zieht er Spekulanten zur Rechenschaft, hier die Bauern, die vor dem Ende der Milchquote kräftig investiert haben, um die Konkurrenz mit günstigeren Produktionsbedingungen ausstechen zu können. Im Gegensatz zum Markt versagt hier der Staat, der Verluste durch Fehlinvestitionen auf den Steuerzahler abwälzt. Natürlich hätte man dies vermeiden können. Doch dazu hätte sich die Bundesregierung mit starken Lobbyverbänden und vielen potenziellen Wählern anlegen müssen. Lieber erhöht sie den Preis für Milch durch die Hintertür. Denn die angekündigten Subventionen, Soforthilfen und sonstigen Gelder werden ja letztlich auch von den Bürgern gezahlt. Mit einem Unterschied zu einem höheren Milchpreis: Eine Preiserhöhung hätten die zu tragen, die Milch auch tatsächlich kaufen. Die Staatshilfen für die steuerlich ohnehin schon bevorteilte Kuh-Milch werden hingegen von allen Bürgern gezahlt, gleich ob sie Milch konsumieren, oder ob sie vegan leben, laktoseintolerant sind oder einfach keine Milch mögen. Weder wirtschaftspolitisch sinnvoll, noch sonderlich gerecht.
Besonders dreist ist jedoch, dass sich die Bundesregierung damit rühmt, mit den Maßnahmen zu ermöglichen, dass “neue Exportmärkte erschlossen” werden können. Diese Exportmärkte sind Länder, die dringend darauf angewiesen wären, eigene Bauern vor Ort zu haben, die sich und ihre Mitbürger mit eigenen Produkten zu einem angemessenen Preis versorgen können. Den vielen Stimmen in den sozialen Netzwerken, die darauf hinweisen, dass dieselbe Regierung, die neue Exportmärkte erschließen will sich dann über “Wirtschaftsflüchtlinge” wundert, ist nichts hinzuzufügen.
Natürlich könnte man bei der Produktion von Milchprodukten immer auch auf ethische Aspekte abstellen. Ein industrielles System, in dem Milchkühe immer wieder künstlich zwangsbefruchtet werden, um dann ihr Kalb (aus dem, wenn weiblich, auch eine Milchkuh, wenn männlich Kalbsschnitzel wird) weggenommen zu bekommen, und Milch zu geben, die nicht das mit Futter gefütterte Kalb, sondern wir Menschen uns einverleiben, entspricht nicht meiner Ethik. Da Ethik für jeden etwas anderes ausmachen kann, und man bei der Debatte über Milch eher auf objektive Fakten setzen sollte, will ich es hierbei belassen.
Auch mit rein objektiven Fakten zeigt sich nämlich die Unsinnigkeit der Maßnahmen der Bundesregierung. Gesundheitspolitisch höchst zweifelhaft, klimapolitisch kontraproduktiv, planwirtschaftlich und ungerecht sowie entwicklungspolitisch unsozial. Um sich aber das Wohlwollen wichtiger Lobbyverbände und die Stimmen vieler Betroffener in den 73.000 deutschen Milch-Betrieben zu sichern, darf man scheinbar auf politischen Sinn keinen Wert legen. Und auf vernünftigen Umgang mit Steuergeldern erst recht nicht.